Payback: so kompliziert kann Bezahlen sein
Ein Trauerspiel in vier Akten.
▽12 Aug. 2020|Bernhard Kauer
bezahlenkomplexitätfelixbernhard
Inzwischen kann man an der Kasse nicht nur mit Bargeld oder Karte, sondern auch mit verschiedenen Gutscheinen bezahlen. Besonders Payback Karten scheinen in Deutschland dafür oft benutzt zu werden.
In diesem Artikel schauen wir uns deren Zahlvorgang an und klären, warum ein Prozess, der normalerweise Sekunden dauert, im Extremfall auch erheblich länger sein kann, wie es Felix vor kurzem erfahren durfte:
Wir standen nun schon geschlagene 20 Minuten mit 2 Kästen Bier in der Warteschlange…
Wie kommt man zu so viel Geduld? Und wozu braucht man diese Menge Bier?
Prolog: Auf dem Berg
Lassen wir im Folgenden Felix selbst berichten:
Ich war in meiner diesjährigen Sommerpause wieder mit meinen Freunden im Bike-Urlaub. Dabei steuern wir mit Sack und Pack diverse Campingplätze oder Wohnorte von Freunden an. Dort bleiben wir jeweils ein paar Tage, um mit dem Mountainbike speziell angelegte Bikeparks oder natürliche Trails im Wald unsicher zu machen. Jedenfalls war eine der Stationen davon Freiburg im Breisgau. Dort wohnen gute Freunde aus Studienzeiten und die kennen sich am allerbesten in den örtlichen Wäldern aus und wissen, wo die besten Sprünge und Abfahrten zu finden sind.
Freiburg ist mir bisher nur als wärmste Stadt Deutschlands und als Wanderparadies bekannt. Aber offensichtlich kann man dort auch gut Mountainbike fahren.
Das bedeutet natürlich Spaß pur, jedenfalls ab dem Moment, wenn man oben am Traileinstieg angekommen ist. An diesem Tag ging es zweimal hoch auf den Rosskopf, von dem aus mehrere Strecken hinunterführen. Eine davon gehört zu den ursprünglichsten und deswegen rauesten Trails in Freiburg, da dort früher die ersten Downhillrennen veranstaltet wurden. So kam es, dass wir an dem Tag etliche Höhenmeter und aufgrund spontanen Regens viel Dreck gesammelt hatten. Außerdem hatte sich nun ein gewisser Durst bei allen eingestellt.
Ok, drei Stunden Berge hoch- und runterfahren am Stück macht durstig.
Kurz zur lokalen Bike-Waschstation, den Dreck von den Rädern entfernen, um sie wieder ins Auto laden zu können. Beim Verladen der Bikes beschlossen wir, uns aufzuteilen. Der Hauptteil fuhr Richtung Silbersee Campingplatz, um das Abendessen vorzubereiten. Mein Kumpel und ich hatten für den Flüssigkeitshaushalt der Crew zu sorgen.
Erster Akt: Zweiter Platz
Wir steuerten also den nächsten Supermarkt an und bogen dort direkt in die Abteilung der Hopfensäfte ein. Zack, zwei Kisten vom Lokalmatadoren in der Hand und direkt zur Kasse. Mein Kumpel legte eine Flasche zum Abkassieren aufs Band und schob die Kästen vor uns her.
Vor uns war nur eine kleine Dame, die bei überschaubarer Artikelmenge gleich fertig zu sein schien. Wir hatten den zweiten Platz erreicht. In diesem Moment begann die Frau, ihren Einkauf in zwei Teile aufzuteilen. Offensichtlich hatte sie nur für den ersten Teil Bargeld dabei und wollte den zweiten Teil mit Payback Punkten bezahlen.
Payback ist ein Bonussystem. Durch Weitergabe seiner Einkaufsdaten erwirbt man Punkte. Diese kann man später in diverse Prämien einlösen. Außerdem kann man diese in ausgewählten Geschäften zum Bezahlen verwenden.
Ich finde es ja immer wieder erstaunlich, dass es wirklich Menschen gibt, die diese Punkte sammeln. Jedenfalls ist es sehr spannend, diesen Vorgang zu beobachten, genau wie der Moment als das Gerät offenbar die Karte nicht akzeptieren wollte. Natürlich meint die Kassiererin, das Gerät spinne heute mal wieder und sie solle es einfach noch einmal versuchen. Beim zweiten Anlauf schaffte es das Lesegerät, die Karte zu erkennen, allerdings fehlten wohl die nötigen Punkte um den Kauf abzuschließen. Daraufhin beteuerte die Dame wortreich, dass sie doch soeben beim Drogeriemarkt einkaufen war und daher die nötigen Punkte alle zusammen habe.
Hier fehlt offensichtlich ein detaillierteres Feedback für den Kunden. An der Stelle weiß man nicht genau, wie viele Punkte die Dame wirklich hat. Bei anderen Gutscheinsystemen kann man den aktuellen Wert an der Kasse auslesen.
Hinter uns standen mittlerweile auch schon vier Leute. Die - noch recht junge - Kassiererin wusste sich keinen Rat und rief ihren erfahreneren Kollegen zu Hilfe. Bis dieser endlich ankam, veranlasste die Kassiererin, dass eine neue Kasse aufgemacht werden sollte, mit der klassischen Ansage: „In Kürze öffnet Kasse vier für Sie!“ Die letzten beiden hinter uns wechselten zur neu besetzten Kasse. Innerlich dachte ich mir: „Gute Entscheidung!“, blieb aber dennoch stehen. Und obwohl ich mir dieses psychischen Phänomens bewusst war, handelte ich nicht. Ich sah meinen Kumpel an, er sah meinen Gesichtsausdruck und sagte: „Ach, komm, passt schon, das hat sich sicher gleich geklärt!“ Innerlich schon völlig ausgetrocknet sahen wir stattdessen vor unserem geistigen Auge schon die kühle Erfrischung in unserer Hand und uns mit den Jungs auf dem Zeltplatz anstoßen. Ja wir meinten schon das Prickeln im Hals zu spüren.
Es ist das Prinzip der Konsistenz, das auch oft beim Verkauf zum Einsatz kommt. Sobald man sich für eine Sache entschieden hat, möchte man konsistent nach außen wirken und sich nicht ständig umentscheiden. Je mehr Zeit man in eine Sache investiert hat, desto weniger ist man natürlich geneigt, die eigene Entscheidung zu revidieren.
Zweiter Akt: Schlange stehen
Wir waren also fest davon überzeugt, gleich als Nächste abkassiert zu werden. Wenn wir gewechselt hätten, wären wir nicht direkt die Nächsten gewesen. Wozu also die (vermeintlich) gute Position opfern? Also blieben wir stehen und sahen gespannt auf das weitere Schauspiel…
Der Kollege führte die exakt gleichen Handlungen wie die Kassiererin nochmals aus, um zum selben Ergebnis zu kommen. Ihm kam eine Idee und er fragte daraufhin die Dame, ob sie denn bereits die Punkte “aktiviert” habe. Die Dame verneinte dies.
Man kann mit den Bonuspunkten von Payback nicht direkt bezahlen. Stattdessen muss man diese vorher in einen Gutschein beim teilnehmenden Händler umtauschen. Dies passiert leider nicht überall automatisch an der Kasse.
Der Kassenwart verwies die Dame dann auf einen kleinen roten Automaten direkt außerhalb des Marktes. Sie möge sich dort anmelden und die Punkte “aktivieren”. Die Dame sagte daraufhin, dass sie nicht wisse, wie dies alles funktioniert. Das war ja zu erwarten. Der Kassierer ging dann netterweise mit der Dame zum Automaten mit.
Bei REWE & Co. muss man erst deren “Service Terminals” aufsuchen. Dort muss man sich ein spezielles Kundenkonto anlegen. Mit dem kann man dann seine Payback Kundennummer verknüpfen. Erst dann ermöglicht es der Automat, bereits erworbene Punkte in Gutscheine umzutauschen.
Mein Kumpel fragte dann die Kassiererin in seiner gewohnt sympathischen Art, ob sie uns in der Zwischenzeit abkassieren könne. Woraufhin diese erwiderte, dass sie den Bezahlvorgang von der Dame jetzt nicht stornieren könne.
Offensichtlich können diese Supermarktkassen keine zwei Vorgänge parallel verarbeiten. Multitasking würde hier eine Menge Zeit sparen. Auf dem Markt und an der Fleischtheke geht dies bereits.
Ab jetzt konnte uns eigentlich nur noch wenig schocken, da wir unsere Ankunft auf dem Zeltplatz mit kühlen Getränken auch schon dahin fliehen sahen. Es kam mir vor, als wäre bei uns die Zeit stehen geblieben, obwohl sich die Welt um uns herum weiter drehte. In diesen Momenten kann man nur optimistisch sein und sich bewusstmachen, dass wir immerhin in der ersten Reihe des Schauspiels standen.
Dritter Akt: Der Chef
Der dritte Akt begann verspätet, da die beiden eine gefühlte Ewigkeit vor dem Automaten standen. Aus der Ferne sah dies wie am Bahnhof aus, wenn ein altes Ehepaar vor einem der Kartenautomaten steht, ohne genau zu wissen wie man ein Ticket bekommt oder gar wohin sie fahren wollen.
Jedes Nutzerinterface ist anders. Die beste User Experience ist es, wenn man keine Eingaben braucht.
Der erfahrene Kollege kam endlich mit der Dame wieder zur Kasse, um die Payback Karte einzulesen und den Vorgang beenden zu können. Der heilige Gral in Form der nun prall gefüllten Karte wurde behutsam an das Lesegerät geführt. Ein „Brrrp“ ertönte. Die Zahlung wurde aber immer noch abgelehnt. Oh Wunder, es hätte ja klappen können. Der Kollege führte den Vorgang abermals durch. Sein Gesicht sprach schon deutlich die Sprache, dass er mit seinem Latein am Ende war.
Mit zu wenig Feedback vom System bleibt nur die “Trial and Error” Methode. Mit viel Erfahrung kann man diesen Mangel zum Teil ausgleichen.
Daraufhin rief er den Filialleiter, in der Hoffnung, dass dieser noch eine geheime Tastenkombination kennt und sich dann alles in Luft auflöst. Eine weitere kleine Ewigkeit später kam auch dieser geschwind zu unserer Kasse und ließ sich die Situation erklären. Auch er führte sämtliche Abläufe, die bereits dreimal durchlaufen wurden, noch ein viertes Mal aus, um sämtliche Fehler auszuschließen. Ah endlich - eine Idee erhellte sein Gesicht. Er kam zu dem Schluss, dass die Punkte wohl noch nicht gebucht waren und das er nicht abschätzen könne, wann sie denn nun auf ihrem Konto verfügbar wären.
Inzwischen erwartet man, dass (fast) alle Systeme in Echtzeit funktionieren. Alles was langsamer ist, führt zur Frustration.
Vierter Akt: Eine gute Tat
Wir standen nun schon geschlagene 20 Minuten mit 2 Kästen Bier in der Warteschlange, wegen einem Warenkorb, der von der Dame vor uns aufgeteilt wurde.
Bar bezahlt hätte dies im Durchschnitt weniger als 20 Sekunden gedauert. Hier wurde eine Kasse 60 Mal so lange blockiert und bis zu drei Mitarbeiter mit dem Vorgang beschäftigt. Über alle Beteiligten sind hier sicher mehr als 100 Minuten draufgegangen. Was für eine Verschwendung!
Den ersten Teil hatte sie recht schnell bar bezahlt. Der zweite Teil bestand aus zwei Sixpack Wasser und zwei Tüten Chips. Summa summarum war dies ein stattlicher Betrag von 5,76 €.
Da die Dame offensichtlich nicht bezahlen kann, würde man nun doch den ganzen Vorgang stornieren müssen.
Meinem Kumpel wurde das Ganze nun zu bunt, sodass er vorschlug, unsere beiden Kästen mit hinzu zu buchen und dann alles zusammen zu bezahlen. Die Dame vor uns war sichtlich perplex und auch leicht errötet und bestand darauf, dass es nicht nötig wäre. Sie sah mich skeptisch an und fragte: “Sind sie sich sicher? Dass muss aber nicht sein…” Ich antwortete: „Gute Frau, wir haben nur noch ziemlich wenig Zeit und dafür ziemlich viel Durst - also los geht’s!“
Es gab mal eine Zeit, da hat man für langes Warten an der Kasse Geld bekommen. Wenn man den Aufwand zusammenrechnet, wäre es billiger für den Supermarkt gewesen, der Frau die Sachen gleich zu schenken.
Wir zahlten und dachten uns, wenigstens eine gute Tat am Tag vollbracht zu haben. Dankend und fröhlich rief uns die Dame noch hinterher, aber wir hatten es bereits sehr eilig wieder zum Zeltplatz zu kommen, sodass wir sie kaum noch hörten. Wir gaben uns ein “high-five” und flogen auf direktem Weg auf dem Campingplatz ein, wo uns unsere Jungs auch schon fröhlich mit dem Abendessen begrüßten. Der Abend war gerettet und wir hatten wieder eine kleine Geschichte zu erzählen.
Epilog: Lessons Learned
Die Erfahrung, die Felix letztens mit Payback gemacht hat, war aus User Experience Sicht denkbar schlecht. Offensichtlich klappt es in den meisten Fällen deutlich besser, sonst würde das System schnell keiner mehr benutzen. Ob sich solche Rabattsysteme für Kunde und Händler wirklich lohnen, ist eine andere Frage.
Was kann man aber aus der ganzen Geschichte lernen? Vor allem, dass Payback als Zahlungsmittel viel zu komplex ist, weil es nicht überall auf die genau gleiche Art und Weise funktioniert.
Dass jeder Händler unterschiedliche Bedingungen für die Vergabe von Punkten festlegt, kann man als Kunde sicher noch akzeptieren, auch wenn das die “Jagd nach Punkten” unnötig schwierig macht. Dass jedoch der Händler den Einlöseprozess verändern kann, ist der Nutzererfahrung sehr abträglich.
Allgemein gesagt: Bei einer Plattform darf die User Experience nicht abhängig von den Partnern sein.